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Über die Siedlungsverhältnisses in alter Zeit

Dr. H. Hüer aus Hemsen

Als die Germanen in das Emsland eindrangen und die dort wohnenden Kelten teils unterjochten, teils vertrieben, da sah es dort noch sehr unwirtschaftlich aus. Das ganze Land war mit Heide, Sumpf und Wald bedeckt, und es war von den neuen Ankömmlingen wenig Platz zu finden für ihre einfachen Wohnungen. Von den wilden Ufern der Ems zogen sie hinauf zu den sandigen Höhen des Hümmling; schweren Boden besiedelten sie erst in späterer Zeit. In der von der fortschreitenden Kultur jahrhundertlang vernachlässigten Heidegegend lassen sich ohne eingehende Untersuchung ganze Siedlungszentren feststellen, die aus Hünengräbern und Urnenfunden, aus aufgedeckten Feuerstein-Werkstätten und ähnlichem zu uns reden. Leider wird hier und da der einsetzenden Forschung durch (verbotenes!) Graben nach Urnen aus Sammler-Liebhaberei das Arbeiten sehr erschwert. Es wäre zu wünschen, daß doch endlich die Heimatfreunde der Heimat Schutz böten oder mindestens die Fundorte vorgeschichtlicher Altertümer genau bezeichneten.

Der Bericht des Römers Tacitus dürfte auch für das Emsland zutreffen, daß die Germanen das Einzelhofsystem bevorzugten. Dörfer kannten sie nicht; geschlossene Ortschaften entstanden erst nach Einführung des Christentums. Die Germanen lebten von Jagd, Fischfang und Viehzucht. Ackerbau wurde nur in geringem Maße von den Frauen betrieben. Dafür dürfte im Emsland schon von vornherein die frühe Besiedelung der sandigen, wenig fruchtbaren Gegenden sprechen. Je mehr dann die Germanen sich an Seßhaftigkeit gewöhnten und je mehr sie sich gegen die Emsniederungen hin ausdehnten, desto häufiger wurden Rodungen nötig. Wann diese "Urrodung" stattfand, darüber ist nichts anzugeben. Sie ging schrittweise vor sich, und die Forscher sind sich darüber einig, daß wir die "Uräcker" dort vor uns haben, wo noch die feste Bezeichnung "Esch" an bestimmten Ackergeländen haftet. (Esch, gotisch atisks, althochdeutsch ezisk, mittelhochdeutsch ezzesch, hängt mit dem Zeitwort atzen gleich essen zusammen; Esch ist also ein Nahrung spendender Acker. Der Name Esch ist daher ein Zeichen recht früher Besiedelung.)

Auf solcher Siedelung wohnten getrennt Eltern, Kinder und Kindeskinder, also unter Leitung eines Familienoberhauptes eine ganze "Sippschaft" oder "Sippe". Nach und nach aber wurden die Verbände zu groß; es mußte eine Trennung vor sich gegen. Auf dem großen Anwesen entstanden an geeigneten Stellen kleinere Siedelungen, auf denen eine eigene Familie für sich wohnte und wirtschaftete, bis wieder erneute Trennung nötig wurde. Alle aber blieben dem Stammsitz, dem gemeinschaftlichen Haupthof (curtis) als Unterhöfe (mansi) unterstellt.

Die stärkere Zersplitterung der großen Haupthöfe scheint vor sich gegangen zu sein, als die einwandernden Sachsen die ältere germanische Bevölkerung unterjochten. Man mußte zu umfangreicher Rodung des Waldes schreiten, um genügend große Ackerfläche zu erhalten. Dieses durch die sogenannte "Sachsenrodung" gewonnenen Kulturland nannte man wahrscheinlich Kamp (von dem lateinischen campus - ein Zeichen, daß die Germanen von der höherstehenden römischen Kultur gelernt hatten und bei der fremden Sprache Anleihe machten.) Der Kamp wurde umwallt, der Wall mit Buch und Dorngestrüpp undurchdringlich bepflanzt, damit das Vieh nicht die Saaten verderben konnte. Das Mittelalter erst hat die Einfriedigung der Wiegen (Wiesen?) geschaffen (Wallhecken), damit das Vieh nicht ausbrechen konnte.

Die dritte und größte Rodungsperiode fand nach der Eroberung des Sachsenlandes durch Karl dem Großen statt. Bessere Geräte und Wirtschaftsmethoden und rasch wachsende Bevölkerungszahl zwangen zu dieser Rodung in großem Maßstabe, aber sie wurde weniger von den einheimischen Bauern, vielmehr von Klöstern und dem fremden Adel, - also von oben her, - betrieben. Der frei Bauer wurde um diese Zeit nach und nach hörig, d.h. abgabenpflichtig an Kirche, Kloster oder Adel. Die Haupthöfe waren von Karl dem Großen und seinen Nachfolgern mehr und mehr eingezogen und an fremden Adel oder an die Kirche vergeben. In manchen sächsischen Gegenden ist geradezu der gesamte Besitz königs- oder kircheneigen geworden. Wer ein Gut zur Bebauung erhielt, der war nicht Besitzer, sondern Vasall oder Lehnsträger, da es nur als Geliehenes betrachtet wurde, von dem Abgaben, die Zehnten, an den Verleiher, den Lehnsherrn, zurückflossen. Dieses Lehnswesen hat dem Mittelalter den Stempel aufgedrückt. Mit den Oberhöfen waren auch die Unterhöfe zu Lehen geworden. Sie zahlten ihre Abgaben: Getreide, Vieh, Flachs, Öl, Wolle, Honig, Eier, Hühner, Fische, Leder usw. an den Haupthof. Die Abgaben wurden vielfach an einem Orte, in der Tennschüre [Zehntscheune], zusammengetragen. Andere mußten an bestimmten Tagen auf dem Oberhof abgeliefert werden. Dieser selbst war oft wieder einem Höheren verpflichtet. Langsam gingen bedeutende Verschiebungen vor sich: Oberhöfe gingen in andere Hände über, Unterhöfe wurden aus dem Besitz heraus verschenkt, verpfändet oder verkauft, die Besitzer freier Höfe gingen freiwillig unter den Schutz eines Mächtigeren, weil sie bei der damals unsicheren Zeit sich und ihr Eigentum nicht selbst beschützen konnten.

Da für die zu leistenden Abgaben die Lehnsherren nicht selbst tätig waren, so bestellten sie sich ihren Schultheißen (Schulzen oder Schulten). Er besaß in der Bauerschaft einen bevorzugten Posten.

Was nach den Rodungen noch an unbebautem Boden übrig war, bezeichnete man als Mark, Gemeinheit, Allmende. Er gehörte den Hofbesitzern gemeinsam und wurde gemeinsam ausgenutzt als Viehweide (für Pferde, Rindvieh, Schweine und Schafe), als Brenn- und Bauholz-Nutzung und zum Plaggenmähen. Wurde in schlechten Zeiten ein Stück der Mark veräußert, so mußte es gleich umfriedet werden und hieß dann als Eigentum eines Hofbesitzers "Zuschlag" oder "Beifang", bei Neubesiedelung dagegen "Markenkotten". Ein Teil des Waldbestandes wurde nicht selten ganz besonders geschützt, sodaß er für die gewöhnliche Ausnutzung nicht in Betracht kam; er wurde zu prächtigem Hochwald geschont und stand unter der Aufsicht eines Wächters. Solche ausgesonderten Makenteile tragen noch bis heute den Namen "Sundern". Am Rande der Mark trug häufig eine hochgelegene Grasfläche den Namen "Brink"; es war der Platz zum gemeinsamen Trocknen des Flachses, da den Einzelhöfen noch die Rasenflächen fehlten. Später wurde dieser Markenteil nicht selten Handwerkern und kleinen Leuten zur Besiedelung überlassen. Von hier übertrug er sich dann bei den Dorfanlagen auf Straßen mit solchen Anwohnern.

Im allgemeinen sind die Bauernhöfe seit dem 12. Jahrhundert in ihrem Besitzstande unverändert geblieben, da sie einerseits unteilbar waren, andererseits nach dem Lehnsrecht unverändert bleiben mußten. Selbst der Name des Erbes hat sich von Geschlecht zu Geschlecht fortgeerbt. Erst durch die Aufteilung der Marken im vorigen Jahrhundert, durch die Neukultivierung mit Hilfe der künstlichen Düngung usw. änderte sich das alte Siedlungsbild. Eine neue Rodungsperiode setzte ein. Ausgedehnte Heiden wurden zu Äckern, Wiesen und Weiden. Das einzige, was aus vergangenen Tagen uns noch bleibt, sind die alten Namen und Bezeichnungen von Geländen, Wegen, Höfen und Ortschaften.

Da sie aus dem innersten Wesen der heimatlichen Verhältnisse entstanden sind, so geben sie uns die reichsten volkskundlichen Nachrichten. Wie wertvoll daher die Sammlung der alten Namen! Heimatfreunde und Schulen sollten sich dieser Sammlung auf das sorgfältigste annehmen. Die Chroniken in den Schulen würden dadurch eine rechte Bereicherung erfahren, und der gründlichen Forschung würde ein ganz besonderer Dienst erwiesen.

Wie wertvoll für die Volkskunde solche Sammlungen sind, zeigt noch folgende Zuschrift für den Heimatkalender.

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In einigen Dörfern des Hümmlings und Emslandes spricht man noch von den sog. Tennschüren. Das Wort ist aus Tentenschüre (Zehntenscheune) entstanden. Es waren Stapelplätze für die Zehntenhocken. In Apeldorn, Kirchspiel Bokeloh, lag die Tennschüre in der Nähe der jetzigen Primissaritaswohnung. Der Zehnte des Apeldorner Esches war zuletzt auf einen Herrn von Martels, der auf Westerlohmühlen wohnte, übergegangen. Dieser verkaufte ihn an den Beerbten Meiners in Apeldorn, welcher vier Töchter hatte. Die eine blieb auf der Stätte, die anderen drei heirateten auf Stahljans, Brümmers und Kohnen Stätte. Beerbter Brümmer verwahrt noch den bei dieser Heirat vom Gutsherrn ausgestellten Freibrief. Die vier genannten Stätten blieben bis zur Ablösung im Besitz des Zehnten. Die Hocken wurden in die Tennschüre gepackt und dann verteilt. Dreiviertel - der große Zehnte - fiel an die vier Erben. Der kleine Zehnte, das letzte Viertel, gehörte den übrigen Bauern von Apeldorn. Von Aschermittwoch bis Ostern war die Zeit des Dreschens von Tennkorn. Dabei soll's lustig hergegangen haben, und jeder ging gern hin. - Auch in Bersen, Kirchspiel Wesuwe, weiß man noch die Statte, wo eine Tennschüre gestanden hat. - Auf dem "Hofkamp", jetzt Bauhof in Meppen, soll früher eine "Regierungsscheune" gestanden haben, von der in Brümmers Haus noch ein Balken liegt. Es wäre interessant, auch aus anderen Orten über Zehntscheunen und Zehnten zu hören.

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"Verdwaolen! Ohoi!" Die großen Heiden und Moore des Hümmlings können in der dunklen Jahreszeit den nächtlichen Wanderer, sogar dem mit der Gegend vertrauten, gefährlich werden. Wenn der Nebel aus den Tiefen braut oder der Schnee Wall und Sloot bedeckt, verliert der suchende Blick oft nicht nur Weg und Steg, sondern auch die Richtung. Zuweilen kann es auch so dunkel sein, daß der tappende Fuß zwischen den verkümmerten Birken am Sandwege hindurchwankt und auf Abwege gerät. Wenn im nahen Moore ein Irrlicht aufflammt (Duvellüchte, Spöklüchte, Armenseelenlüchten genannt), so kann sich der Wanderer nicht mehr auf sich selbst verlassen. Er legt seine Hände an den Mnd und ruft nach allen Richtungen: "Verbwaolen! Ohoi!" Weit schallt es über Heide und Moor. In den Dörfern wird es lebendig. Die jungen Burschen laufen mit Strohgarben auf die Wege, auf einem Heidehügel zunden sie die Garbe an und schwingen sie in der Luft. Ruf und Gegenruf wechseln, bis der Verbwaolene (Verirrte) auf sicheren Pfad geleitet ist.